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Uwe Timm Am Beispiel meines Bruders 3 bis S. 42

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Transcription

The transcription discusses the narrator's family, particularly focusing on the narrator's father and brother. The father was a soldier in World War I and later joined a Freikorps to fight against the Bolsheviks. The brother joined the SS during World War II, which the mother disagreed with. The father's occupation is unclear, with mentions of him being a preparator, soldier, and Kirschner. The narrator reflects on the family dynamics and the similarities between themselves, their brother, and their father. The transcription also includes descriptions of old photographs depicting the father's time in the military. Er war ein Kind, das lange gekränkelt hatte, unerklärlich hohes Fieber, scharf. Ein Foto zeigt ihn im Bett, das verwuschelte blonde Haar. Die Mutter erzählt, dass er trotz Schmerzen so erstaunlich gefasst war. Ein geduldiges Kind. Ein Kind, das viel mit dem Vater zusammen war. Die Fotos zeigen den Vater mit dem Jungen, auf dem Schoß, auf dem Motorrad, im Auto. Die Schwester, die zwei Jahre älter war als der Bruder, steht unbeachtet daneben. Seine Cosenamen, die er als Kind sich selbst gegeben hatte, Dadum, Kuddelbumbum. Von mir, dem Nachkömmling, glaubte der Vater, ich sei zu viel unter Frauen. In einem Brief, den mein Vater, der damals bei der Luftwaffe diente und in Frankfurt an der Oder stationiert war, an meinen Bruder in Russland geschrieben hat, steht der Satz, Uwe ist ein ganz netter kleiner Pimp, aber etwas verzogen. Na, wenn wir erst wieder im Hause sind, dann wird es schon wieder. Ich war das, was man damals ein Muttersöhnchen nannte. Ich mochte den Duft der Frauen, diesen Geruch nach Seife und Parfum. Ich mochte und suchte eine frühe Empfindung, die Weichheit der Brüste und der Schenkel. Während er, der große Bruder, schon als kleiner Junge immer am Vater hing. Und dann gab es noch die Schwester, 18 Jahre älter als ich, die vom Vater wenig Aufmerksamkeit und kaum Zuwendung erfuhr. Sodass sie etwas sprödes, brummiges bekam, was der Vater wiederum als muffig bezeichnete und was sie ihm nur abermals fernrückte. Der Karl-Heinz, der große Junge, warum ausgerechnet der? Und dann schwieg er. Man sah ihm das an, den Verlust und die Überlegung, wen er wohl lieber an dessen Stelle vermisst hätte. Der Bruder, das war der Junge, der nicht log, der immer aufrecht war, der nicht weinte, der tapfer war, der gehorchte, das Vorbild. Bruder und ich Über den Bruder schreiben heißt, auch über ihn schreiben, den Vater. Die Ähnlichkeit zu ihm, meine, ist zu erkennen über die Ähnlichkeit, meine, zum Bruder. Sich ihnen scheidend anzunähern ist der Versuch, das bloß Behaltene in Erinnerung aufzulösen, sich neu zu finden. Meine begleiten mich auf Reisen. Wenn ich an Grenzen komme und ein Reiseformular ausfüllen muss, trage ich sie mit ein, den Vater, den Bruder, als Teil meines Namens. In Blogschrift schreibe ich in die vorgeschriebenen Kästchen Uwe, Hans, Heinz. Es war der dringliche Wunsch des Bruders, mein Vater zu sein, mir seinen Namen als zusätzlichen Namen zu geben und der Vater wünschte, ich solle als Zweitnamen seinen Namen tragen, Hans. Wenigstens mit dem Namen weiterzuleben. Im anderen, denn 1940 war schon deutlich, dass der Krieg nicht so schnell ein Ende finden würde und der Tod an Wahrscheinlichkeit gewann. Auf die Frage, warum der Bruder sich zur SS gemeldet habe, gab die Mutter einige naheliegende Erklärungen aus Idealismus. Er wollte nicht zurückstehen, sich nicht drücken. Sie, wie auch der Vater, machte einen genauen Unterschied zwischen der SS und der Waffen-SS. Inzwischen, nach Kriegsende, nachdem die grauenvollen Bilder, die bei der Befreiung der KZ gemachten Filme, gezeigt worden waren, wusste man, was passiert war. Die Mistbande hieß es, die Verbrecher. Der Junge war aber bei der Waffen-SS. Die SS war eine normale Kampfgruppe. Die Verbrecher waren die anderen, der SD, die Einsatzgruppen. Vor allem die oben, die Führung. Der Idealismus des Jungen missbraucht. Erst am Pimpf, dann bei der Hitler-Jugend. An Fahrernasche, Kampfspiele, Singen, Fangschnüre. Es gab Kinder, die ihre Eltern denunzierten. Dabei hat er, der Bruder im Gegensatz zu dir, nie mit Soldaten spielen mögen. Ich war dagegen, sagt sie, dass sich der Karl-Heinz zur SS meldet. Und der Vater? Der Vater hatte sich im November 1899 geboren, schon im ersten Weltkrieg freiwillig gemeldet und war zur Feldartillerie eingerückt. Das Sonderbare ist, dass ich so gut wie nichts aus dieser Zeit von ihm weiß. Fehnrich sei er gewesen, wollte Offizier werden, aber das war nach dem verlorenen Krieg nicht mehr möglich. Und so hat er sich wie tausend andere, aus dem demobilisierten Weltkrieg her, einem Freikorps angeschlossen und im Baltikum gegen die Bolschewisten gekämpft. Aber wo genau und wie lange und warum, weiß ich nicht. Und da fast alle Urkunden und Briefe mit der Ausbombung des Hauses 1943 verbrannt sind, ist es nicht mehr in Erfahrung zu bringen. Ein paar Fotos in einem Album zeigen den Vater in dieser Zeit. Auf dem einen, mit der rückseitigen Beschriftung 1919, ist eine Gruppe junger Männer in Uniform zu sehen. Einige tragen Stiefel, andere Gamaschen. Sie sitzen auf einer breiten Steinkreppe, die möglicherweise zu einem Denkmal gehört. Er liegt mit einem anderen jungen Mann vor den Sitzenden, wie man damals gern Gruppenfotos stellte. Den linken Arm hat er am Boden aufgestützt und lacht. Ein blonder, gutaussehender junger Mann. Junge Soldaten, bartlos, sorgfältig gescheitert, könnten Studenten sein, waren es wohl auch. Einer trägt sichtbar am kleinen und am Ringfinger Ringe, ein anderer einen Siegelring. Lächelig sitzen sie da und lachen. Vermutlich hat der vornliegende Vater einen Witz gemacht. Andere Fotos zeigen ihn mit Kameraden, Schnappschüsse aus dem Soldatenleben. Auf einem steht er in einem eben zusammengebrochenen Stockbett. Er steht da im Nachthemd, die Uniformmütze Käst auf dem linken Ohr. Lustig ist das Soldatenleben, valeri, valera. Strohgedeckte Karten, Bauhausräuter in Russenkitteln, Soldaten beim Essen fassen, ein Pferdegespann, behängt mit Stahlhelm, diesen etwas größeren deutschen Stahlhelm aus dem Ersten Weltkrieg, mit den beiden seitlich warzenförmigen Luftlöchern. Es war ein Leben, das wohl viele der 18-19-Jährigen führen wollten. Abenteuer, Kameradenschaft, frische Luft, Schnaps und Frauen. Bei allen keine geregelte Arbeit. Das spricht aus den Fotos. Wenn man nach dem Beruf des Vaters fragt, kann ich darauf keine eindeutige Antwort geben. Präparator, Soldat, Kirschner.

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